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Ort, Disziplinen und Zeit

Der Ort

Diese Fragen sollen ausgehend vom konkreten Ort der Universität Freiburg, einer renommierten, deutschen Traditionsuniversität, beantwortet werden. Freiburg hatte unter den sogenannten mittelgroßen deutschen Universitäten seit Ende des 19. Jahrhunderts die höchsten Zuwachsraten zu verzeichnen. Nach 1945 stiegen die Studierendenzahlen hier stetig an, so dass sich die Studierendenfrequenz zwischen 1950 und dem Beginn der 1960er Jahre auf etwa 11.000 verdoppelte. Freiburg zog Studierende aus allen deutschen Landesteilen, insbesondere aus Norddeutschland an, so dass nur ca. 22% der Studierenden aus Baden-Württemberg stammten; immerhin 7,5% kamen aus dem Ausland (Annalen/Jahresbericht 1965: 8). Mit der Bildung des neuen Bundeslandes Baden-Württemberg im Jahr 1952 hatte die Universität Freiburg einen „Herrschaftswechsel“ zu verkraften und musste sich im Gefüge des neuen Bundeslandes, das zudem nun acht Hochschulen hatte, neu situieren. An der Universität Freiburg, im äußersten Südwesten der Bundesrepublik und im Dreiländereck Deutschland, Frankreich, Schweiz gelegen, können exemplarisch die Verflechtungen mit regionalen, nationalen sowie transnationalen Öffentlichkeiten sehr gut studiert werden.

Für eine Untersuchung des Verhältnisses von Wissenschaft und Öffentlichkeit sind lokalpolitische Konstellationen, nationale Rahmenbedingungen, die Einbettung in ein internationales Feld und bestimmte Akteure, d.h. die Rolle des „konkreten Ortes/des Raumes der Interaktion“ zentral (Felt 2002: 187f.). Durch die Konzentration auf einen Ort (in seinen regionalen, nationalen und transnationalen Verflechtungen) sowie auf ein konkretes Set von Akteuren und ihre Netzwerke kann es gelingen, universitäts-, wissenschafts- und gesellschaftsgeschichtliche Perspektiven zu verbinden. Dabei sollen alle drei Aufgabenbereiche der Universität – d.h. akademische (Berufs-)Bildung, Allgemeinbildung sowie wissenschaftliche Wissensproduktion – in ihren gegenseitigen Wechselwirkungen und im Zusammenspiel mit verschiedenen Öffentlichkeiten berücksichtigt werden.

Die Wahl der Disziplinen - Medizin und Geisteswissenschaften

Die Interaktion von Universität, Wissenschaft und Öffentlichkeit kann im Rahmen unserer Zielsetzung nicht umfassend für alle Disziplinen abgehandelt werden. Stellvertretend werden daher zwei Gruppen analysiert. Die erste Gruppe stellen Medizin und die in der Medizinischen Fakultät versammelten Disziplinen dar, die zum Teil auch Naturwissenschaften umfassen. Als zweite Gruppe werden fünf in der Philosophischen Fakultät beheimatete geisteswissenschaftliche Disziplinen herangezogen: vier Traditionsfächer – Philosophie/Erziehungswissenschaften, Geschichte, Germanistik, Romanistik – sowie mit Soziologie/Politikwissenschaften ein neu etatisiertes Fach, das sich im Untersuchungszeitraum zur neuen Leitdisziplin entwickelte. Germanistik und Romanistik stehen dabei stellvertretend für die Neuphilologien, d.h. die Disziplinengruppe, die hinsichtlich der Studierendenzahlen (und damit der gesellschaftlichen Ausbildungsnachfrage) am stärksten expandierte und in der sich Ende der 1950er Jahre die gravierendsten Überfüllungserscheinungen zeigten.

Es soll und kann hier nicht darum gehen, eine Disziplingeschichte dieser Fächer an der Universität Freiburg zu schreiben. Vielmehr soll anhand ausgewählter, in den inner- wie außeruniversitären Öffentlichkeiten besonders hervortretenden Fachvertreter (vgl. hierzu näheres in 3.2.3) die Interaktion zwischen Universität, Fachdisziplin und Öffentlichkeit herausgearbeitet werden.

Durch diese Vorauswahl werden exemplarisch Natur- und Geisteswissenschaften abgedeckt. Beide Disziplinengruppen kamen sowohl staatlich wie gesellschaftlich relevanten Ausbildungsbedürfnissen (Mediziner, Lehrer) nach und verfolgten gleichzeitig Grundlagenforschung, so dass an ihrem Beispiel auch die Interaktion von „Anwendungsorientierung“ (Ausbildungsnachfrage, Sinnstiftung, medizinische Versorgung), Grundlagenforschung und öffentlichem Diskurs untersucht werden kann. An beide Disziplinengruppen wurden in der Nachkriegszeit große Erwartungen herangetragen, sei es hinsichtlich einer neuen Sinnstiftung oder einer verbesserten Lebensführung; beide hatten durch ihre personelle, materielle und ideelle Beteiligung am Nationalsozialismus große Schwierigkeiten zu überwinden und bemühten sich nach 1945 durch ein neues Selbstbild um Distanz zum Nationalsozialismus. Es handelt sich zudem um Fächer, die für das Innenleben wie die Außenwahrnehmung der Universität Freiburg bedeutsam waren. Denn sowohl die Medizin als auch die Geisteswissenschaften verfügten an der Universität Freiburg im 20. Jahrhundert über ein besonders hohes Ansehen, das im Bearbeitungszeitraum noch etwa gleichgewichtig gewesen zu sein scheint.

Der Untersuchungszeitraum

umfasst mit den Jahren von 1945 bis 1970 die Kernphase der sogenannten Hochmoderne, die sich u.a. durch einen massiven Universitäts- und Fächerausbau seit Mitte der 1950er Jahre und einen noch relativ ungebrochenen Fortschritts- und Wissenschaftsglauben auszeichnete. Das Jahr 1945 markiert einen Wendepunkt, da im Rahmen der politischen Veränderungen auch eine gesellschaftspolitische Neupositionierung der Universität(en) sowohl von den Alliierten als auch von der Bevölkerung angemahnt wurde. Die Jahre um 1970 stellen sowohl hochschulpolitisch als auch gesellschafts- und wirtschaftspolitisch eine Zäsur durch die Studierendenbewegung, die Ausarbeitung des neuen Hochschulrahmengesetzes, die Energiekrise und das verlangsamte Wirtschaftswachstum dar, so dass hier ein sinnvoller Endpunkt des Untersuchungszeitraums gesetzt werden kann. Viele Probleme, die heute meist pauschal mit der Chiffre „1968“ belegt werden, zeigten sich bereits ab Mitte der 1950er Jahre, so etwa die enorme Überfüllungsproblematik und die „Vermassung“. Auch wurden bereits um 1960 entscheidende Weichenstellung für die weitere Struktur und den Fächerausbau bis Ende der 1970er Jahren getroffen.

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